Verhaltensauffälligkeiten bei Katzen durch Trennungsstress

Trennungsstress: Katze schaut aus dem Fenster und wartet auf Katzenhalter*in
5
(1)

Viele Katzenhalter glauben, dass Katzen problemlos länger allein bleiben können. Schließlich gelten sie als unabhängige Tiere, die keine permanente Nähe brauchen. Doch eine wissenschaftliche Studie der Universidade Federal de Juiz de Fora (Machado et al., 2020) stellt dieses Bild infrage. Sie zeigt, dass auch Katzen unter der Abwesenheit ihrer Bezugsperson leiden können und dass bestimmte Haltungsbedingungen dieses Risiko verstärken.

Trennungsprobleme oder Trennungsangst bei Katzen sind ein bisher unterschätztes Thema. In der wissenschaftlichen Literatur werden sie unter dem Begriff separation-related problems (SRP) zusammengefasst. Gemeint sind damit Verhaltensauffälligkeiten und physiologische Stressreaktionen, die dann auftreten, wenn eine Katze von ihrer Bezugsperson getrennt ist.

Typische Anzeichen sind zerstörerisches Verhalten, übermäßiges Miauen oder Jaulen, Unsauberkeit (meist in Form von Urinieren an Stellen, die stark nach dem Menschen riechen, etwa auf Bett oder Kleidung) sowie Apathie, Aggression oder nervöse Unruhe. Manche Katzen fressen schlechter, verstecken sich oder zeigen vermehrt Putzzwang. Diese Symptome ähneln teilweise dem, was man von Hunden mit Trennungsangst kennt, werden bei Katzen aber seltener erkannt oder fehlinterpretiert.

Warum Katzen überhaupt Trennungsstress empfinden können

Lange galt die Annahme, dass Katzen keine echten Bindungen eingehen. Neuere Forschung widerspricht dem deutlich. Studien von Vitale et al. (2019, Current Biology) und Edwards et al. (2007, Animal Behaviour) zeigen, dass Katzen sehr wohl Bindungsmuster entwickeln, die den Bindungsstilen von Kleinkindern und Hunden ähneln. Sie fühlen sich in Gegenwart vertrauter Personen sicherer, erkunden häufiger ihre Umgebung und zeigen weniger Stressverhalten.

Wenn diese Bezugsperson verschwindet, fällt das emotionale Sicherheitsnetz weg und genau das kann Trennungsstress auslösen. Die Stärke der Reaktion hängt vom individuellen Bindungstyp, von Erfahrungen in der frühen Sozialisierung, aber auch von der aktuellen Lebenssituation ab.

Wie sich Trennungsprobleme äußern können

Trennungsangst kann sich sehr unterschiedlich zeigen. Manche Katzen reagieren mit sichtbarer Unruhe, laufen hin und her, miauen laut oder kratzen an Türen. Andere ziehen sich zurück, schlafen übermäßig viel oder wirken apathisch. Häufig kommt es zu Verhaltensweisen, die Katzenhalter als „Protest“ interpretieren – wie das Urinieren auf dem Bett. Tatsächlich ist es kein „Protestpinkeln“, sondern ein Versuch, sich durch den Geruch des Menschen zu beruhigen. (Zu dem Thema Protestpinkeln hab ich bereits einen Blogartikel geschrieben).

Ein weiteres mögliches Zeichen ist exzessives Putzen, sogenanntes psychogenes Lecken. Diese repetitive Handlung dient dem Abbau von Stress, kann aber bei chronischem Verlauf zu kahlen Stellen oder Hautentzündungen führen.

Wie die Studie aufgebaut war

Die Forschenden von Machado et al. befragten 130 Halter von insgesamt 223 Katzen in Brasilien. Ziel war, typische Anzeichen von Trennungsproblemen zu identifizieren und sie mit Haltungs- und Umweltfaktoren in Beziehung zu setzen. Dabei lebten die Katzen sowohl in Wohnungen als auch in Häusern, teils mit, teils ohne Freigang.

Etwa 13 Prozent der Katzen erfüllten mindestens eines der Kriterien für Trennungsprobleme. Besonders häufig traten zerstörerisches Verhalten, exzessives Miauen und Unsauberkeit auf.

Risiko- und Einflussfaktoren

Die Analyse zeigte mehrere Risikofaktoren, die das Auftreten von Trennungsproblemen begünstigten:

  • Wenig oder keine Beschäftigungsmöglichkeiten: Katzen ohne Zugang zu Spielzeug waren deutlich häufiger betroffen.
  • Einzelhaltung: Katzen, die allein lebten, zeigten häufiger problematisches Verhalten.
  • Lange Abwesenheiten: Tiere, die regelmäßig über mehrere Stunden allein waren, reagierten empfindlicher auf die Trennung.
  • Eingeschränkter Zugang zur Wohnung: Katzen, die nicht alle Räume nutzen durften, zeigten mehr Stressanzeichen.
  • Kein Freigang: Tiere ohne Zugang nach draußen waren häufiger von Trennungsproblemen betroffen.

Diese Ergebnisse legen nahe, dass nicht nur die Beziehung zwischen Mensch und Katze, sondern auch die Gestaltung der Umgebung eine entscheidende Rolle spielt.

Interessanterweise zeigte sich kein klarer Zusammenhang zu Geschlecht, Alter oder Rasse. Entscheidend scheinen vielmehr soziale und umweltbedingte Faktoren zu sein. Auch der Charakter der Katze (wie stark sie Nähe sucht oder wie stressanfällig sie ist) spielt vermutlich eine große Rolle.

Trennungsprobleme und Freigang – ein unterschätzter Faktor

Die Studie zeigt, dass Freigang das Risiko für Trennungsprobleme verringern kann. Katzen, die regelmäßig Zugang nach draußen hatten, zeigten seltener auffälliges Verhalten, während Wohnungskatzen häufiger betroffen waren.

Freigang ermöglicht eigenständige Aktivität, Bewegung, Jagdverhalten und soziale Kontakte mit anderen Katzen. Diese Erlebnisse tragen dazu bei, Stress abzubauen und mentale Auslastung zu fördern. Wohnungskatzen sind dagegen stärker auf den Menschen als sozialen Partner angewiesen und reagieren empfindlicher auf dessen Abwesenheit.

Das bedeutet nicht, dass Wohnungshaltung grundsätzlich problematisch ist, aber sie erfordert eine gezielte Gestaltung des Lebensraums: Rückzugsorte, erhöhte Aussichtspunkte, Beschäftigungsmöglichkeiten, Futterspiele und strukturierte Interaktionen mit dem Halter sind essenziell, um den Alltag abwechslungsreich zu gestalten.

Ist eine zweite Katze die Lösung?

Viele Halter reagieren auf Trennungsstress ihrer Katze, indem sie spontan eine zweite Katze anschaffen – in der Hoffnung, dass sich das Problem damit löst. Doch diese Entscheidung sollte gut überlegt sein. Eine zweite Katze ist keine Garantie für weniger Stress, wenn die Tiere nicht zueinander passen oder die Haltungsbedingungen nicht angepasst werden. Im Gegenteil: Wenn die individuellen Bedürfnisse beider Katzen nicht erfüllt werden, kann die Situation sogar zusätzlichen Stress und neue Konflikte erzeugen.

Eine katzengerechte Umgebung mit Rückzugsorten, Beschäftigung, sozialen Kontakten und einer klaren, berechenbaren Routine ist daher die Basis. Erst wenn die Rahmenbedingungen stimmen und beide Tiere sorgfältig aufeinander vorbereitet werden, kann Mehrkatzenhaltung tatsächlich eine Bereicherung sein. Lies dazu gerne auch meinen Blogartikel: „Auswahl einer Zweitkatze – nicht kopflos, sondern mit Verstand!

Abgrenzung zu anderen Ursachen

Nicht jedes auffällige Verhalten beim Alleinsein weist auf Trennungsangst hin. Manche Symptome, wie Unsauberkeit oder Lautäußerungen, können auch durch medizinische Probleme, Revierkonflikte oder Langeweile entstehen. Eine sorgfältige Abklärung durch einen Katzenverhaltensberater oder Tierarzt ist deshalb unerlässlich. Erst wenn andere Ursachen ausgeschlossen sind, kann gezielt an der emotionalen Ursache gearbeitet werden.

Wo die Forschung noch am Anfang steht

Bisher fehlen objektive Kriterien, um Trennungsprobleme bei Katzen eindeutig zu diagnostizieren. Während bei Hunden standardisierte Tests und Videoanalysen existieren, beruhen die Erkenntnisse bei Katzen fast ausschließlich auf Halterbefragungen. Zukünftige Forschung sollte daher auch physiologische Parameter wie Herzfrequenz, Cortisolwerte oder mimische Veränderungen berücksichtigen, um Stressreaktionen messbar zu machen.

Auch die Rolle von Persönlichkeit, Sozialisierung und Umweltgestaltung ist noch nicht abschließend geklärt. Es gilt herauszufinden, welche Maßnahmen – etwa gezieltes Training, Entspannungssignale oder Umweltanreicherung – Trennungsstress wirksam vorbeugen oder reduzieren können.

Fazit

Katzen sind keine Einzelgänger, die tagelang ohne Gesellschaft auskommen. Auch wenn sie unabhängig wirken, brauchen sie soziale und mentale Stimulation. Die Studie von Machado et al. liefert wichtige Hinweise, dass langes Alleinsein zu Verhaltensauffälligkeiten führen kann.

Wenn Deine Katze beim Alleinsein auffälliges Verhalten zeigt, kann das ein Hinweis auf Trennungsstress sein. In meiner Verhaltensberatung schauen wir gemeinsam, welche Faktoren in Eurer Situation eine Rolle spielen, und entwickeln individuelle Lösungsstrategien.

Teile diesen Artikel

Wie hilfreich war dieser Beitrag?

Klicke auf die Sterne um zu bewerten!

Durchschnittliche Bewertung 5 / 5. Anzahl Bewertungen: 1

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

Weil du diesen Beitrag nützlich fandest...

Folge mir in sozialen Netzwerken!

Es tut mir leid, dass der Beitrag für dich nicht hilfreich war!

Lasse uns diesen Beitrag verbessern!

Wie können ich diesen Beitrag verbessern?

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen